Radstand, Nachlauf, Lenkkopfwinkel – und was sie bewirken.
Für viele Leute ist die Fahrwerksgeometrie eines Motorrads ein Buch mit sieben Siegeln, dessen Ergründung man besser Experten überlässt. Viele Motorradfahrer haben auch gar kein Interesse an diesem
Thema. Sie wollen einfach Motorrad fahren und sonst nichts und das ist auch ok so.
Manchem Biker reicht es auch aus, wenn er in Sachen Fahrwerksgeometrie ein Basiswissen hat, ähnlich wie bei anderen Motorradkomponenten auch. Und dann gibt es aber auch
die Spezialisten, die sich für jedes Detail interessieren.
Wir erheben mit diesem Beitrag auch keinesfalls den Anspruch, jedes Detail behandelt zu haben. Es gibt auch viele hervorragende Bücher zu diesem Thema. Unser Ziel ist
es, die Zusammenhänge von Radstand, Nachlauf und Lenkkopfwinkel ein wenig zu beleuchten und ihren Einfluss auch das Handling, Lenkverhalten und die Geradeauslaufstabilität zu erklären.
Es ist nichts atemberaubendes, aber es macht den feinen Unterschied aus! Die Geometrie des Fahrwerks ist
nicht unbedingt einer der schillernden Aspekte eines Motorrads. Oder können Sie sich daran erinnern, dass die Information über den Lenkkopfwinkel Sie schon mal in helle Verzückung versetzt hat? Bei
der R6 Modelljahr 2006 ist es mit Sicherheit eher das Design, die Leistungsausbeute und ihre technischen Features, die die Leute begeistern als der Nachlauf von 97mm und der Radstand von 1380 mm.
Features wie die Anti-Hopping Kupplung und die neue Y-CCT “Fly-by-wire” Drosselklappensteuerung genießen zu Recht die uneingeschränkte Beachtung der Motorradwelt.
Doch obwohl die Fahrwerksgeometrie eher ein Schattendasein führt, spielt sie für das Handling eines Motorrads eine ganz entscheidende Rolle. Dieser Beitrag soll Ihnen
einen generellen Überblick über die Einflüsse der Fahrwerksgeometrie geben und darlegen, warum es so wichtig ist.
Radstand – ist kürzer besser als länger?
Der Radstand definiert den Abstand von der Mitte der Vorderradachse zur Mitte der Hinterradachse – und genau wie der Wert für den Nachlauf und den Lenkkopfwinkel sagt er eine Menge über die
potentielle Charakteristik eines Motorrads aus und das schon im Stand.
Grundsätzlich steht ein kurzer Radstand für leichteres Handling und Lenkverhalten, während ein längerer Radstand eher einen besseren Geradeauslauf bietet.
Wenn Sie zum Beispiel zwei unterschiedliche YAMAHA Modelle um dieselbe Kurve fahren, werden Sie feststellen, dass ihr Fahrverhalten unterschiedlich sein wird und auch
welch unterschiedliche Kräfte zum Lenken aufgewendet werden müssen.
Kurz oder Lang
Gehen wir mal davon aus, dass Sie den beschrieben Test mit zwei völlig unterschiedlichen Fahrzeugen durchführen – zum Beispiel einer XV1900 Midnight Star und der R6. Mit dem kurzen Radstand von
lediglich 1380 mm würde die R6 einen wesentlich kleineren Wendekreis benötigen als das neue Cruiser Flaggschiff XV1900 Midnight Star, die 1715mm Radstand aufweist. Sie würden außerdem feststellen,
dass man bei einem kürzeren Radstand deutlich weniger Lenkkräfte aufwenden muss als bei einem langen Radstand (siehe Abbildung 3.20).
Nach welchen Kriterien trifft YAMAHA die Entscheidung, ob ein neues Motorrad einen kurzen oder langen Radstand bekommt?
2006 XV1900 Midnight Star: Radstand 1715mm
Nun, wie bei jedem Aspekt beim Motorrad- oder Roller Design orientiert sich die grundsätzliche Spezifikation des Fahrwerks am Verwendungszweck des Motorrads. Der letzte
Feinschliff findet dann auf Prüfständen und Teststrecken statt.
Hier mal eine Auflistung einiger YAMAHA Modelle, aufsteigend sortiert nach der Länge des Radstandes:
Modell 2006 Radstand
2006 YZF-R6: Radstand 1380mm
YZF-R6
1380 mm
Supersportler
YZF-R1
1415 mm
Supersportler
FZ6 Fazer
1440 mm
Sportler
FZ1 Fazer
1460 mm
Sportler
FJR1300A
1550 mm
Tourer
XVS650A
1625 mm
Cruiser
XV1900
1715 mm
Cruiser
Schaut man sich die Werte für den Radstand bei den Modellen des Jahrgangs 2006 an, so stellt man eindeutig fest, dass die R-Modelle den kürzesten Radstand haben,
gefolgt von den FZ-Sportmodellen.
Der Sporttourer FJR1300A bewegt sich irgendwo im Mittelfeld, während die Modelle der XV Cruiser Reihe den längsten Radstand haben – 24% länger als die neue YZF-R6!
Wenn man den typischen Einsatzzweck eines Motorrads berücksichtigt, dann gibt es auf der einen Seite des Spektrums die Modelle der R-Serie, die mit kurzem Radstand eine
extreme Handlichkeit bieten und in Sachen Fahrwerksagilität neue Maßstäbe setzten.
Bei den Modellen mit relativ kurzem Radstand bieten die FZ-Modelle ein dynamisches Handling, gleichzeitig aber auch gute Allround-Fahrwerksqualitäten. Mit einem
Radstand von 1550mm ist der Sporttourer FJR1300A eher auf souveräne Straßenlage und gute Geradeauslaufeigenschaften ausgelegt.
Das Kontrastprogramm bieten die Modelle der XV Modell-Reihe, die mit langem Radstand den Ansprüchen nach gutem Geradeauslauf für entspanntes Cruisen gerecht werden. Mit
dieser Auslegung harmonieren übrigens auch die V-Motoren dieser Baureihe hervorragend.
Der Radstand spielt also für die Fahrwerkscharakteristik eine überaus wichtige Rolle und vielleicht werden Sie ja nächstes Mal bei der Betrachtung der technischen Daten
eines Motorrads dem Radstand auch mehr Beachtung schenken und schon aus diesem Wert Rückschlüsse daraus ziehen, ob das Motorrad für Sie in Frage kommt oder nicht.
Illustration: Tony Foale (2002) Motorcycle Handling & Chassis Design.
Der Nachlauf. Was ist das und was bewirkt er? Der Nachlauf ist definiert als das Maß zwischen der gedachten
Linie der Verlängerung der Steuerkopf bis zum Boden und der Falllinie der Achsmitte zum Boden (Siehe Abbildung 3.1).
Nahezu jedes Motorrad oder Fahrrad, das jemals gebaut wurde, hat einen Nachlauf. Damit hat das Vorderrad einen Lenkkopfwinkel und auch einen Eigenlenkeffekt, wenn es in
Bewegung ist. Mit anderen Wort: Ein Zweirad in Fahrt wird seine gerade Fahrtrichtung beibehalten, wenn keine äußeren Einflüsse auf die Lenkung ausgeübt werden.
Der Nachlauf bewirkt also ein bestimmtes Maß an Lenkstabilität und ein Fahrwerks-Designer kann durch seine Veränderung das Fahrwerk in die eine oder andere Richtung
„tunen“.
Schauen Sie sich mal die folgende Auswahl von Nachlaufwerten verschiedener Motorräder an:
Modell 2006 Nachlauf
YZF-R6
97 mm
Supersportler
YZF-R1
97 mm
Supersportler
Tricker
95 mm
Straße
FZ1
109 mm
Straße
FJR1300A
109 mm
Tourer
XV1900
152 mm
Cruiser
Bei genereller Betrachtung tendieren die Supersport Modelle der R-Serie zu den kürzesten Nachlaufwerten, die Cruiser der XV-Reihe zu den längsten.
So weisen zum Beispiel die auf schnelles Handling ausgelegten R-Modelle lediglich 97mm Nachlauf auf, während der neue Super Cruiser XV1900 mit 152mm Nachlauf für einen
relaxten Geradeauslauf bei gemütlichem Dahingleiten sorgt.
Aber es gibt sogar ein Modell, das einen noch kürzeren Nachlauf aufweißt, als die Modelle der R-Serie.
Dieses Modell ist der Tricker und er hat in der Tat den kürzesten Nachlauf aller zulassungsfähigen YAMAHA Modelle. Was aber ist der Grund für so eine extreme Auslegung?
Nun der Tricker ist eine völlig neue Art von Straßenmotorrad – ein multifunktionales urbanes Fun-Motorrad.
Dank seiner Charakteristik ist der Tricker für Fahranfänger ebenso geeignet wie für Experten, die abseits des öffentlichen Straßenverkehrs mit ihm Stunts und Tricks
probieren wollen. Die Kombination aus nur 1330mm kurzem Radstand mit 95mm Nachlauf und 25,4 Grad Lenkkopfwinkel machen seine Agilität aus – ganz besonders beim Langsamfahren im innerstädtischen
Bereich. Unterstützt wird dies durch das ultraschlanke Fahrwerk, die kompakten Abmessungen und den drehmomentstarken Motor.
Was wir über den Radstand gesagt haben, gilt auch beim Nachlauf: Obwohl man aus ihm schon eine grundsätzliche Chassis-Charakteristik ableiten kann, ist er ist nur ein
Faktor beim Zusammenwirken aller Elemente eines Fahrwerks, die erst in der Gesamtheit das Handling eines Fahrwerks ausmachen.
2006 Tricker: Lenkkopfwinkel 25.4°
Lenkkopfwinkel und seine Bedeutung für Agilität und Stabilität.
Lenkkopfwinkel und seine Bedeutung für Agilität und Stabilität. Der Lenkkopfwinkel ist der Winkel, den der Steuerkopf mit der Senkrechten bildet (Siehe Abbildung 3.1). Wie wir bereits festgestellt
haben, spielt der Nachlauf für die Handlingeigenschaften eines Motorrads eine entscheidende Rolle und der Lenkkopfwinkel bestimmt ihn.
Betrachten wir noch mal die Werte unterschiedlicher YAMAHA Modelle – jetzt für den Lenkkopfwinkel.
Modell 2006 Lenkkopfwinkel (Grad)
YZF-R6
24
Supersportler
YZF-R1
24
Supersportler
FZ1
25
Straße
Tricker
25.4
Straße
FJR1300A
26
Tourer
XV1900
31
Cruiser
Um bei Supersportlern zu bleiben: Wieder ist es so, dass sie den kürzesten Nachlauf und den steilsten Lenkkopfwinkel haben. Bei dem rennsporterprobten Deltabox-Fahrwerk
der R1 mit ihrem kurzen Radstand beträgt der Lenkkopfwinkel extreme 24 Grad. Daraus resultiert ein kurzer Nachlauf. Damit zählen die R1 und auch die R6 zu den handlichsten Fahrwerken, die YAMAHA je
gebaut hat.
Am anderen Ende der Skala bewegt sich die für 2006 neu vorgestellte XV1900 Midnight Star, deren Lenkkopfwinkel 31 Grad beträgt. Auch dieser Wert unterstreicht wieder
die völlig unterschiedlichen Ausprägungen der Fahrzeuge: Auf der einen Seite die R1, deren Fahrwerksauslegung hervorragendem Handling dient, auf der anderen Seite die XV1900 mit ihren hervorragenden
Geradeauslaufeigenschaften.
Wie man in der Liste erkennt, weisen die Sport- und Sporttouring Modelle des Jahrgangs 2006 nur geringfügig größere Lenkkopfwinkel auf als die Supersportmodelle, liegen
aber immer noch deutlich unter den Werten eines Cruisers. Das macht deutlich, dass auch unsere Sport- und Sporttouring Modelle hervorragende Handlingeigenschaften bieten. Dabei wurden der Nachlauf
und der Radstand so gewählt, dass sie auch im Geradeauslauf zu überzeugen wissen.
Interessante Erkenntnisse Sicherlich wird auch künftig die Fahrwerksgeometrie nicht das erste sein, womit Sie
sich bei einem neuen YAMAHA Motorrad auseinander setzen werden. Wir hoffen aber, dass dieser grobe Überblick Ihnen vielleicht doch den ein oder anderen neuen Aspekt im Zusammenspiel von Radstand,
Nachlauf und Lenkkopfwinkel aufgezeigt hat.
Ganz klar: Was einen Motorradfahrer in erster Linie interessiert ist die Optik eines Motorrads sowie seine Fahreigenschaften und die Leistung. Und vielleicht hilft ja
das Verständnis dafür, warum sich ein Motorrad so oder so verhält auch ein wenig bei der nächsten „Motorrad-Erfahrung“.
Interessante Erkenntnisse
Sicherlich wird auch künftig die Fahrwerksgeometrie nicht das erste sein, womit Sie sich bei einem neuen YAMAHA Motorrad auseinander setzen werden. Wir hoffen aber,
dass dieser grobe Überblick Ihnen vielleicht doch den ein oder anderen neuen Aspekt im Zusammenspiel von Radstand, Nachlauf und Lenkkopfwinkel aufgezeigt hat.
Ganz klar: Was einen Motorradfahrer in erster Linie interessiert ist die Optik eines Motorrads sowie seine Fahreigenschaften und die Leistung. Und vielleicht hilft ja
das Verständnis dafür, warum sich ein Motorrad so oder so verhält auch ein wenig bei der nächsten „Motorrad-Erfahrung“.